Im grünen Ghetto

Mal etwas ausserhalb des Fußballs.

Maximilian Buddenbohm hat Blogger und Bloggerinnen aufgefordert ihren Stadtteil zu beschreiben.

Bisher gibt es schon sehr viele schöne Beiträge, eine Übersicht der bisher veröffentlichenten Artikel gibt es hier.

Da wollte ich auch gerne was zu beitragen. Ich wohne jetzt in Barmbek, darüber haben aber schon andere geschrieben. Also habe ich mich entschlossen über meine Heimat zu schreiben.

Ich komme aus Mümmelmannsberg. Das ist kein eigener Stadtteil in Hamburg, er gehört zu Billstedt, obwohl wir aus Mümmel, M-Town, Müberg oder wie auch immer es gerne genannt wird, es am liebsten hätten, es wäre ein eigener.

Über Mümmelmannsberg gibt es viele Vorurteile: Hartz4, Ausländer, Kriminalität, Drogen und alles schlimme dieser Welt. Es ist sehr schwer, von diesem Bild weg zu kommen.

Ich bin geboren in Bergedorf und in den 80er Jahren sind wir in eine niegelnagelneue 3 1/2 Zimmerwohnung in der Großen Holl gezogen. Aus dem Fenster meines Kinderzimmers habe ich die Wiesen und Weiden der Bauern aus Havighorst oder Oststeinbek gesehen, grenzt Mümmelmannsberg doch direkt an Schleswig-Holstein. Und da ist es ja bekanntlich grün. In meiner Jugend bin ich auf Kühen geritten und habe im Kornfeld mit meinem Bruder und unseren Freunden ein Lager gebaut. Immer auf der Hut vor dem Bauer mit der Mistgabel, wobei wir immer erzählen, er hätte eine Schrotflinte. Aber ich schweife ab.

Wir haben daneben noch das Naturschutzgebiet Boberger Niederungen und die Glinder Au. Viel grün für ein Ghetto, oder? Auch in der Siedlung selbst sind viele kleine Grünflächen angelegt, ich hatte nie das Gefühl in einer Betonburg aufgewachsen zu sein. Klar, die Max-Pechstein-Straße ist nicht gerade schön gebaut worden, die Hochhäuser boten nicht immer einen tollen Anblick, aber wenn man unten, auf der Straße läuft, sieht man mehr grün als grau.

Mümmelmannsberg ist alt, schon sehr alt. Mein Vater (gebürtiger Lohbrügger und nein, dann ist man kein Bergedorfer!) erzählt mir immer noch gerne, daß er früher über die grünen Wiesen auf dem Berg gefahren ist, um in die Innenstadt zu kommen. Heute leben dort knapp 19.000 Menschen (Es waren schon mal mehr, ich glaube als ich jung war, damals, waren es 22.000; in den Anfängen sprach man sogar von 30.000). Gebaut wurden die Wohnungen für all diese Menschen im Zeitraum zwischen 1970 und 1979. Viel Platz gab man ihnen nicht, man baute eher hoch als breit. In den 70ern war bezahlbarer Wohnraum ein rares Gut, aber die Skrupel eine Siedlung für solch eine Menschenmasse zu bauen, waren nicht sehr groß: Der soziale Wohnungsbau boomte.

Die Siedlung ist klar strukturiert: Die Kandinskyallee durchteilt von Süd nach Nord. Wer südlich wohnt, geht in die Grundschule Rahewinkel, wer nördlich wohnt in die Grundschule Mümmelmannsberg. Ok, bei mir war das anders, ich wohnte im Süden und ging im Norden zur Schule. Zu Fuß mußte ich jeden Morgen bei Wind und Wetter 1100 Meter gehen. Aber ich schweife ab. Zurück zur Struktur: Von Ost nach West gibt es abgehend von der Kandinskyallee die Straße Mümmelmannsberg und den Havighorster Redder. Im Herzen des Stadtteils ist das häßliche Einkaufszentrum platziert worden, umringt von mehreren Hochhäusern.

Es gab dort auch mal Läden in denen man was kaufen konnte, heute ist es aber eher schäbig dort und nicht schön. Sämtliche Versuche, das EKZ zu sanieren, schlugen fehl, kein privater Investor traut sich an den Betonmoloch ran. Es gibt eine Gesamtschule im „warum-auch-immer-hat-man-diese-Farbe-gewählt“-Orange. Selbst nach der Asbestsanierung in den 90ern hat man nicht über eine neue Fassade nachgedacht.

Seit 1990 ist Mümmelmannsberg die Endhaltestelle der U3. Ich weigere mich übrigens bis heute, die U3 U2 zu nennen. Die können doch nicht meine gelbe Linie einfach rot machen und auch noch umbenennen! Ich bin da stur.

Neben dem schaurig-schönem EKZ gibt es noch einen Skulpturenpark. In den 70ern gab es noch öffentliche Gelder für Kunst am Bau, die Ergebnisse waren entsprechend. Wir hätten damals lieber ein paar Schaukeln oder Rutschen mehr gehabt, aber wir waren Kinder, wir hatten ja keine Ahnung.

Viele berühmte Künstler tummeln sich in Mümmel. Edward Munch, Max Pechstein, Mondrian, Franz Marc, August Macke, Paul Klee und auch Kandinsky. Als die Siedlung gebaut wurde, mußten ja neue Straßennamen her. Also nahm man sich die Künstler und machte aus ihnen Straßen.

Die Siedlung war nach dem Bau schnell in Verruf geraten. Kein Wunder, wurden die Sozialwohnungen doch damals noch belegt und die Mischung aus hoher Arbeitslosigkeit, hohem Ausländeranteil und wenig Möglichkeiten seine Freizeit zu nutzen taten ihr übriges. Dieser Ruf war schnell „verdient“ und wenn man sich einen schlechten aufgebaut hat, dauert es mindestens 10 mal so lang ihn wieder zu verbessern. Noch 2006 zahlte das ZDF Jugendlichen Geld, um einen Bericht über Jugendgangs zu drehen. Sie sollten das Klischee bedienen, das man in Hamburg über Mümmel hat. Man wollte den Zuschauern das geben, was sie erwarten.

Aber aufgegeben haben wir unsere Siedlung, haben wir Mümmel, nicht. Es wurden viele Vereine und Initiativen gegründet, die noch heute viele tolle und gute Aktionen ins Leben rufen. Meine Familie war daran auch beteiligt, noch heute wird die Stadtteilzeitung „aktiv wohnen“ im Stadtteil kostenlos in alle Briefkästen verteilt. Ich will nicht alle Vereine und Initiativen auflisten, ich kann nur schreiben, daß viel für die Integration und einen lebenswerteren Stadtteil getan wird. Dabei darf man nicht vergessen, daß dies ehrenamtlich erfolgt. Die ehemals häßlichen Hochhäuser werden heute von großen Gemälden verschönert, jedes Jahr findet ein Stadtteilfest statt, ein Sportfest und viele weitere kleinere und größere Veranstaltungen, die sich um Musik, Sport, Kunst und Integration drehen. Zu finden sind diese Veranstaltungen, Vereine und Initiativen bei Stadtteil Mümmelmannsberg und aktiv wohnen.

Mümmelmannsberg ist nicht hip, ich glaube, es will das auch gar nicht sein. Es will nur ernst genommen werden und frei von Vorurteilen seinen Bewohnern ein Zuhause bieten. Mittlerweile verschwindet der Waschbetonchic aus den 70ern auch immer mehr, die Wohnungsbaugesellschaften modernisieren die Gebäude so, daß sie alle nicht mehr gleich aussehen, sondern ein so unterschiedliches Bild abgeben wie seine Bewohner. Es gibt Cafés und Restaurants, die zwar in keinen Restaurantführern auftauchen, aber Essen und Trinken anbieten. Mal besser, mal schlechter, wie anderswo auch. Man fährt nicht nach Mümmel um sich zu amüsieren, man wohnt dort gerne. Das gerne ist hart verdient und bedarf weiterem Einsatz von vielen Menschen, die ihren Stadtteil lieben.

Ich bin froh, daß ich in diesem Stadtteil aufgewachsen bin. Es lehrte mich Toleranz und vor allem, daß Vorurteile eben genau solche sind und man sich immer ein eigenes Urteil bilden sollte. Selbst kein Ausländer oder Sozialhilfeempfänger durfte ich alle Vorurteile, die es über die Bewohner gibt, am eigenen Leib erfahren. Meistens der totalen Unwissenheit geschuldet, aber als Jugendlicher und Jungerwachsener prägt das sehr. Selbst bin ich nie in eine Schlägerei geraten, wurde nie überfallen und habe das selbst auch nie getan. Klar, einige meiner Bekannten und Freunde aus Kindergartenzeiten haben eine andere Karriere eingeschlagen. Das ist in anderen Stadtteilen eher nicht so. Meine Familie hat sich immer im Stadtteil engagiert und tut es heute noch.

Ich fahre gerne nach Mümmel um meine Eltern zu besuchen. Ich fühle mich nie unsicher und gehe zu Tag und Nacht Zeit zur U-Bahn oder parke mein Auto auch ohne Angst in den Straßen.

Aber so geht es wohl jedem, der in seine Heimat fährt. Nach Hause kommt.

Fotogalerie Minibild.de

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17 Responses to “Im grünen Ghetto”

  1. DerTim sagt:

    „Seit 1990 ist Mümmelmannsberg die Endhaltestelle der U3. Ich weigere mich übrigens bis heute, die U3 U2 zu nennen“

    Ich kann mich auch nicht daran gewöhnen; das ist mir auch zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen.

    Davon abgesehen: toller Artikel :)

  2. nedfuller sagt:

    @DerTim
    Danke.
    Ja, es ist so schwierig nach der roten Linie Ausschau zu halten, wenn ich Berliner Tor umsteige. Ich schaue auch immer dreimal auf das Fahrziel.

  3. YellowLed sagt:

    Für meinen Geschmack ist das nach Maximilians Artikel der schönste aus der Rest-von-Hamburg-Reihe. Klasse.

  4. nedfuller sagt:

    @YellowLed
    Danke für das Kompliment.
    Wobei ich sagen muß, daß ich Hilfe von jemanden hatte, der weiß wie man schreibt :-)

  5. […] im Osten da, wir haben den Stadtteil mit dem Namen, den man gerne für einen Witz hält, Mümmelmannsberg. Außerdem das kastanienreiche Bramfeld, das mir gänzlich unbekannte Langenfelde und, […]

  6. Oh, Blogcontent abseits des HSV. Gerne gelesen, Danke.

  7. nedfuller sagt:

    @Trainer Baade
    Bitte, gerne. Die Serie bot sich an. Mein Stadtteil kommt halt nicht oft in positiver Berichterstattung vor.

  8. Jekylla sagt:

    Schön geschrieben.

  9. Kara sagt:

    Hat mir sehr gut gefallen – die Beschreibung, aber auch die Einstellung. Man kann ueberall gut wohnen, wenn man bereit ist, was draus zu machen. Dewsbury (s Isabo blog), wo ich wohne, hat einen sehr schlechten Ruf, bietet mir aber genau das ‚aktiv wohnen‘-Gefuehl, das sie beschreiben.

  10. nedfuller sagt:

    @Jekylla
    Vielen Dank.

    @Kara
    Vielen Dank.

    Das Gefühl kann man aber so schwer vermitteln. Zumeist „traut“ sich keiner da hin.

  11. nini sagt:

    Ich finde den Artikel auch toll! Denn er beschreibt den Stadtteil ziemlich gut. Ich bin ebefalls in „Mümmel“ aufgewachsen und habe in der Kindheit viel Zeit in der Glinder Au, auf etlichen Spielplätzen und in den Boberger Dünen verbracht.

  12. nedfuller sagt:

    @nini
    In der Glinder Au habe ich auch viel Zeit verbracht, war von der Großen Holl ja auch nicht weit dahin.
    Warst du in den letzten Jahren mal da? Die Spielplätze sollen runderneuert sein, mein Vater ist mit meiner Tochter mal da gewesen und sie war begeistert.

    Vielen Dank für das Kompliment

  13. ravermeister sagt:

    Sehr schön geschrieben, bin auch in Mümmelmannsberg aufgewachsen, und dort zur schule gegangen, und hätts nicht viel besser beschreiben können!

  14. nedfuller sagt:

    @ravermeister
    Vielen Dank für das Kompliment.
    ich bin ja „nur“ 4 Jahre in Mümmel zur Grundschule gegangen. Danach durfte ich Lohbrügge und dann Billstedt auf der Schule unsicher machen

  15. Wolfdietrich Thürnagel sagt:

    Danke netter Autor.
    Ich bin ,hier seit Grundsteinlegung.Ich wohne gerne und auch freiwillig in enem der grünstenStadtteile/ Quartiere in Hamburg.
    Du hast deine Sicht zu Mümmelmannsberg ohne Polemik etc.pp aufs Papier geschrieben .
    Hoffentlich überzeugst du damit auch all`die welche noch niemals hier waren aber alles über Mümmelmannsberg und die Bewohnerschaft wissen.
    Ich habe die Stadtteilzeitung aktiv wohnen 40 Jahre mutgestaltet,war lange Elternratsvorsitzer der Gesamtschuleltern ,habe 40 Jähere Stadtteilfest,int.Freundschaftsfest und alle anderen großenFeste Mitveranstalter. Hoffentlich kommen viele ALTE wenn wir 40 Jahre Stadtteil-Ganztags-Gesamtschule in Mümmelmannsberg feiern.
    danke-Wolfdietrich Thürnagel

  16. Lena sagt:

    Ich kann mich den vorherigen Aussagen nur anschliessen! Großartig geschrieben!
    Ich arbeite an der „warum-auch-immer-hatm-man-diese-Farbe-gewaehlten“ orangefarbenen Gesamt- bzw mittlerweile Stadtteilschule und dieser Artikel ist charakteristische als alle Worte, die ich waehlen koennte, um den Muemmel zu beschreiben!